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Till Eulenspiegel - Historie 55 bis 60
(Hermann Bote)




Die 55. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Lübeck den Weinzäpfer betrog, als er ihm eine Kanne Wasser für eine Kanne Wein gab.

Eulenspiegel sah sich klüglich vor, als er nach Lübeck kam, und verhielt sich gebührlich, damit er dort niemandem einen Streich spielte, denn es herrschte in Lübeck ein strenges Recht. Nun war zu der Zeit im Ratskeller in Lübeck ein Weinzäpfer, der war ein sehr hochmütiger und stolzer Mann. Ihn dünkte, niemand sei so klug wie er. Er war dreist genug, von sich selber zu sagen und von sich sagen zu lassen: ihn gelüste es, den Mann zu sehen, der ihn betrügen und in seiner Klugheit überlisten könne. Darum war er bei vielen Bürgern unbeliebt.

Als nun Eulenspiegel von diesem Übermut des Weinzäpfers hörte, konnte er den Schalk nicht länger verbergen und dachte: das mußt du versuchen, was er kann. Und er nahm zwei Kannen, die beide gleich waren, und goß in eine Kanne Wasser und ließ die andere Kanne leer. Die Kanne, in der das Wasser war, trug er unter dem Rock verborgen, die leere trug er offen. Mit den Kannen ging er in den Weinkeller und ließ sich ein Maß Wein einmessen. Die Kanne mit dem Wein nahm er unter den Rock, zog die Kanne mit dem Wasser hervor und setzte sie auf die Zapfbank, ohne daß es der Weinzäpfer sah. Dann sprach er: "Weinzäpfer, was kostet das Maß Wein?" Der Weinzäpfer sagte: "Zehn Pfennige." Eulenspiegel sprach: "Der Wein ist mir zu teuer, ich habe nicht mehr als sechs Pfennige, kann ich ihn dafür haben?" Der Weinzäpfer wurde zornig und sagte: "Willst du meinen Ratsherren den Weinpreis vorschreiben? Das ist hier ein Kauf nach festgesetzten Preisen. Wem das nicht gefällt, der lasse den Wein im Ratskeller." Eulenspiegel sprach: "Das muß ich wohl lernen. Ich habe sechs Pfennige, wollt Ihr die nicht, so gießt den Wein wieder aus!"

Da nahm der Weinzäpfer in seinem Zorn die Kanne und meinte, es sei der Wein. Aber es war das Wasser, und er goß es oben zum Spundloch wieder hinein und sprach: "Was bist du für ein Tor! Lässest dir Wein einmessen und kannst ihn nicht bezahlen!" Eulenspiegel nahm die Kanne, ging hinaus und sagte: "Ich sehe wohl, daß du ein Tor bist. Es ist niemand so klug, daß er nicht von Toren betrogen würde, auch wenn er ein Weinzäpfer ist." Und damit ging er hinweg. Die Kanne mit dem Wein trug er unter dem Mantel, und die leere Kanne, in der das Wasser gewesen war, trug er offen.


Die 56. Historie sagt, wie man Eulenspiegel in Lübeck henken wollte und wie er mit behender Schalkheit davonkam.

Lambrecht, der Weinzäpfer, dachte über die Worte nach, die Eulenspiegel sagte, als er den Keller verließ. Er ging hin, nahm sich einen Stadtwächter, lief Eulenspiegel nach und holte ihn auf der Straße ein. Der Büttel griff ihn an, und sie fanden die zwei Kannen bei ihm, die leere Kanne und die Kanne, worin der Wein war. Da klagten sie ihn als einen Dieb an und führten ihn in das Gefängnis.

Etliche meinten, er habe den Galgen verdient; etliche sprachen, es sei nicht mehr als ein ausgeklügelter Streich, und sie meinten, der Weinzäpfer hätte sich vorsehen sollen, denn er habe ja gesagt, daß ihn niemand betrügen könne. Eulenspiegel habe das nur getan wegen der großen Vermessenheit des Weinzäpfers. Aber diejenigen, die Eulenspiegel nicht leiden konnten, sprachen, es sei Diebstahl, er müsse deshalb hängen. So wurde über ihn das Urteil gesprochen: Tod durch den Galgen.

Als der Tag der Urteilsvollstreckung kam und man Eulenspiegel vor die Stadt führen und henken sollte, da entstand eine lärmende Unruhe über die ganze Stadt. Jedermann war zu Roß oder zu Fuß auf der Straße. Der Rat von Lübeck befürchtete, daß er um Freigabe des Gefangenen gebeten und veranlaßt werde, Eulenspiegel nicht henken zu lassen. Etliche wollten sehen, was für ein Ende er nähme, nachdem er ein so abenteuerlicher Mensch gewesen war. Andere meinten, er verstünde etwas von der schwarzen Kunst und würde sich damit befreien. Aber der größte Teil gönnte ihm, daß er frei würde.

Während der Ausfahrt vor die Stadt war Eulenspiegel ganz still und sprach kein Wort, so daß sich jedermann über ihn wunderte und meinte, er sei verzweifelt. Das dauerte bis an den Galgen. Da tat er den Mund auf, rief den ganzen Rat zu sich und bat ihn demütig, ihm eine Bitte zu gewähren. Er wolle weder um Leib noch um Leben bitten noch um Geld oder Gut; weder um sonst eine Wohltat, noch um ewige Messen, ewige Spenden oder ewiges Gedenken; sondern nur um eine geringe Sache, die ohne Schaden zu tun sei und die der ehrbare Rat von Lübeck leichtlich tun könne ohne einen Pfennig Kosten. Die Ratsherren traten zusammen und gingen zur Seite, um darüber Rat zu halten. Und sie einigten sich, ihm seine Bitte zu gewähren, nachdem er vorher ausdrücklich gesagt hatte, worum er nicht bitten wolle. Manche von ihnen verlangte es sehr zu erfahren, um was er bitten würde. Sie sprachen zu ihm: seine Bitte solle erfüllt werden, sofern er nichts von den Dingen erbäte, die er ausgenommen habe. Wenn er damit einverstanden sei, so wollten sie ihm seine Bitte gewähren.

Eulenspiegel sprach: "Um die Dinge, die ich vorhin aufgezählt habe, will ich Euch nicht bitten. Wollt Ihr mir aber das halten, worum ich Euch bitte, so bestätigt mir das durch Handschlag!" Das taten sie alle zusammen und gelobten ihm das mit Hand und Mund.

Da sprach Eulenspiegel: "Ihr ehrbaren Herren von Lübeck! Ihr habt es mir gelobt, und ich bitte um dies: Wenn ich gehenkt worden bin, sollen der Weinzäpfer und der Henker drei Tage lang jeden Morgen kommen, und zwar der Weinschenk zuerst und der Henker danach, und mich nüchtern küssen mit dem Mund in den Arsch." Da spuckten sie aus und sagten, das sei keine geziemende Bitte. Eulenspiegel sprach: "Ich halte den ehrbaren Rat von Lübeck für so redlich, daß er hält, was er mir zugesagt hat mit Hand und Mund." Sie gingen alle darüber nochmals zu Rat, und aus Gnade und aus anderen zu seinen Gunsten sprechenden Gründen wurde beschlossen, ihn laufen zu lassen.

Also reiste Eulenspiegel von dannen nach Helmstedt, und man sah ihn nicht wieder in Lübeck.


Die 57. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Helmstedt eine große Tasche machen ließ.

Mit einer Tasche richtete Eulenspiegel eine weitere Schalkheit an. In Helmstedt wohnte ein Taschenmacher. Zu dem kam Eulenspiegel und fragte, ob er ihm eine große, hübsche Tasche machen wolle. Der Taschenmacher sprach: "Ja, wie groß soll sie sein?" Eulenspiegel sagte, er möchte sie groß genug haben. Denn zu der Zeit trug man große Taschen, die breit und weit waren. Der Taschenmacher machte Eulenspiegel eine große Tasche. Als er kam und sich die Tasche ansah, sprach er: "Die Tasche ist nicht groß genug. Das ist ein Täschlein. Macht mir eine, die groß genug ist, ich will sie Euch gut bezahlen." Der Taschenmacher fertigte ihm eine Tasche von einer ganzen Kuhhaut an und machte sie so groß, daß man wohl ein einjähriges Kalb hätte hineinstecken können, so daß ein Mann daran zu tragen hatte.

Als Eulenspiegel dazukam, gefiel ihm die Tasche wiederum nicht, und er sprach, die Tasche sei nicht groß genug. Wolle er aber eine Tasche machen, die ihm groß genug sei, so wolle er ihm zwei Gulden als Anzahlung geben. Der Taschenmacher nahm die zwei Gulden und machte ihm eine Tasche, zu der er drei Ochsenhäute nahm, so daß drei Mann vollauf zu tun hatten, sie auf einem Tragegestell zu tragen; man hätte wohl einen Scheffel Korn hineinschütten können.

Als Eulenspiegel kam, sprach er: "Meister, diese Tasche ist groß genug; aber die große Tasche, die ich meine, das ist diese Tasche doch nicht. Ich will sie auch nicht haben, sie ist im Grunde noch zu klein. Wenn Ihr mir die große Tasche machen wolltet, aus der ich immer einen Pfennig herausnehmen kann und zwei bleiben stets darin liegen, so daß ich niemals ohne Geld wäre und nie an den Boden der Tasche greifen kann: die würde ich Euch abkaufen und bezahlen. Die Taschen, die Ihr mir gemacht habt, das sind leere Taschen, die nutzen mir nichts. Ich muß volle Taschen haben, anders kann ich nicht zu den Leuten kommen."

Damit ging er hin, ließ dem Taschenmacher seine Taschen und sprach: "Meine Anzahlung für den Kauf kannst du behalten." Und er ließ ihm die zwei Gulden; der Taschemnacher hatte aber wohl für zehn Gulden Leder verschnitten.


Die 58. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Erfurt einen Metzger um einen Braten betrog.

Eulenspiegel konnte seine Schalkheit nicht lassen, als er nach Erfurt kam, wo er bald mit Bürgern und Studenten bekannt wurde.

Einmal ging er zu den Fleischbänken, wo das Fleisch feilgeboten wurde. Da sprach ein Metzger ihn an, ob er nicht etwas kaufen wolle, das er mit sich nach Hause trüge. Eulenspiegel sagte zu ihm: "Was soll ich mit mir nehmen?" Der Metzger sprach: "Einen Braten." Eulenspiegel sagte ja, nahm einen Braten bei einem Ende und ging damit davon. Der Metzger lief ihm nach und sprach zu ihm: "Nein, nicht so! Du mußt den Braten bezahlen!" Eulenspiegel sprach: "Von einer Bezahlung habt Ihr mir nichts gesagt, sondern Ihr sagtet, ob ich nicht etwas mit mir nehmen wolle." Der Metzger habe auf den Braten gewiesen, damit er den mit sich nach Hause nehmen solle. Das wolle er mit des Metzgers Nachbarn beweisen, die dabeistanden.

Die andern Metzger kamen dazu und sagten aus Haß, daß es wahr sei. Denn die andern waren dem Metzger feindlich gesonnen. Wenn jemand nämlich zu ihnen kam und etwas kaufen wollte, rief er die Leute zu sich und zog sie damit von ihnen ab. Darum stimmten sie zu, daß Eulenspiegel den Braten behielte. Während der Metzger also zankte, nahm Eulenspiegel den Braten unter den Rock, ging damit hinweg und ließ sie sich darüber einigen, so gut sie konnten.


Die 59. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Erfurt einen Metzger noch einmal um einen Braten betrog.

Nach acht Tagen kam Eulenspiegel wieder zu den Fleischbänken. Da sprach derselbe Metzger Eulenspiegel mit Spottreden an: "Komm wieder her und hol dir einen Braten!" Eulenspiegel sagte ja und wollte nach dem Braten greifen. Da war der Metzger flink und nahm den Braten schnell an sich. Eulenspiegel sagte: "Warte, laß den Braten liegen, ich will ihn bezahlen." Der Metzger legte den Braten wieder auf die Bank.

Da sprach Eulenspiegel zu ihm: "Wenn ich dir ein Wort sage, das dir von Nutzen ist, soll dann der Braten mein sein?" Der Metzger sagte: "Du könntest mir solche Worte sagen, die mir nichts nützen. Du könntest mir aber auch Worte sagen, die mir von Nutzen sind, und dabei den Braten hinwegnehmen." Eulenspiegel sprach: "Ich will den Braten nicht anrühren, wenn dir meine Worte nicht gefallen." Und er sagte weiter: "Ich spreche jetzt dies: 'Wohlauf, her, mein Säckel, und bezahle die Leute!' Wie gefällt dir das? Gefällt dir das etwa nicht?" Da sagte der Metzger: "Die Worte gefallen mir wohl, sie behagen mir sehr." Da sprach Eulenspiegel zu denen, die umherstanden: "Liebe Freunde, das hörtet ihr wohl, also ist der Braten mein."

Eulenspiegel nahm den Braten, ging damit hinweg und sagte spöttisch zu dem Metzger: "Nun habe ich mir wieder einen Braten geholt, wie du mich ansprachst." Der Metzger stand da und wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Zweimal war er genarrt worden und hatte zu seinem Schaden den Spott seiner Nachbarn, die bei ihm standen und über ihn lachten.


Die 60. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Dresden ein Schreinerknecht wurde und nicht viel Dank verdiente.

Alsbald zog Eulenspiegel aus dem Lande Hessen nach Dresden vor dem Böhmerwald an der Elbe und gab sich als Schreinergeselle aus. Dort nahm ihn ein Schreiner auf, der einen Gesellen zur Aushilfe benötigte. Denn seine Gesellen hatten ausgedient und waren auf Wanderschaft gegangen.

Nun fand in der Stadt eine Hochzeit statt; zu der war der Schreiner eingeladen. Da sprach der Schreiner zu Eulenspiegel: "Lieber Geselle, ich muß zur Hochzeit gehn und werde heute bei Tage nicht mehr wiederkommen. Sei tüchtig, arbeite fleißig und bringe die vier Bretter für den Schreibtisch auf das genaueste zusammen in den Leim." Eulenspiegel sagte: "Ja, welche Bretter gehören zusammen?" Der Meister legte ihm die Bretter aufeinander, die zusammengehörten, und ging mit seiner Frau zur Hochzeit.

Der brave Geselle Eulenspiegel, der sich allezeit mehr befleißigte, seine Arbeit verkehrt zu tun, als richtig, fing an und durchbohrte die schön gemaserten Tischbretter, die ihm sein Meister aufeinandergelegt hatte, an drei oder vier Enden. Dann schlug er Holzpflöcke hindurch und verband sie so miteinander. Danach siedete er Leim in einem großen Kessel und steckte die Bretter da hinein. Schließlich trug er sie oben ins Haus, legte sie dort ans offene Fenster, damit der Leim an der Sonne trocknete, und machte zeitig Feierabend.

Abends kam der Meister von der Hochzeit, hatte viel getrunken und fragte Eulenspiegel, was er den Tag über gearbeitet habe. Eulenspiegel sagte: "Lieber Meister, ich habe die vier Tischbretter auf das genaueste zusammen in den Leim gebracht und zu einer guten Zeit Feierabend gemacht." Das gefiel dem Meister wohl, und er sagte zu seiner Frau: "Das ist ein rechter Geselle, behandle ihn gut, den will ich lange behalten." Und damit gingen sie schlafen.

Am nächsten Morgen, als der Meister aufgestanden war, hieß er Eulenspiegel den Tisch bringen, den er fertig gemacht habe. Da kam Eulenspiegel mit seiner Arbeit vom Dachboden herunter. Als der Meister sah, daß ihm der Schalk die Bretter verdorben hatte, sprach er: "Geselle, hast du auch das Schreinerhandwerk gelernt?" Eulenspiegel antwortete, warum er danach frage. "Ich frage darum, weil du mir so gute Bretter verdorben hast." Eulenspiegel sagte: "Lieber Meister, ich habe getan, wie Ihr mich hießet. Ist es verdorben, dann ist das Eure Schuld." Der Meister wurde zornig und sprach: "Du bist ein Schalksnarr, darum hebe dich hinweg aus meiner Werkstatt; ich habe von deiner Arbeit keinen Nutzen." Also schied Eulenspiegel von dannen und verdiente keinen großen Dank, obwohl er alles das tat, was man ihn hieß.

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